Rainer Will, Geschäftsführer Handelsverband, Herausgeber des Magazins retail
Zwei Jahre nach Ausbruch der Corona-Pandemie boomt der Online-Handel wie nie zuvor, doch ein echtes Einkaufserlebnis lässt sich nicht durch ein paar Klicks ersetzen. Der moderne Konsument will Abwechslung, Genuss, Unterhaltung, Inspiration, kurz: Shopping mit Wow-Effekt. In Österreich zeigen eine ganze Reihe von Leuchtturmprojekten schon heute, wie der stationäre Handel von morgen aussehen wird. Ich freue mich, Ihnen einen Einblick in die faszinierende Retail-Zukunft der Alpenrepublik geben zu dürfen.
Der Handel ist für die Wirtschaft von zentraler Bedeutung. Fast 78.000 Unternehmen sind in der Branche (Einzelhandel, Großhandel, Kfz-Handel) tätig, das ist ein Viertel aller österreichischen
Betriebe. Gemeinsam erzielen sie einen Umsatz von 266 Milliarden Euro und beschäftigen 600.000 Mitarbeitende. Bis 2019 hat sich der stationäre Handel dynamisch entwickelt, mit Beginn der
Corona-Pandemie hat dieser positive Trend allerdings ein abruptes Ende gefunden. Die Anzahl der Handelsunternehmen ist allein 2020 um fünf Prozent gesunken. Gleichzeitig boomt der E-Commerce wie nie zuvor – doch ein echtes Shoppingerlebnis lässt sich nicht dauerhaft durch einen Webshop ersetzen.
„Nichts ist so beständig wie der Wandel“, pflegte schon Heraklit zu sagen, und die Geschichte gibt ihm Recht. Gerade in Zeiten der Digitalisierung müssen klassische Stores mehr bieten als eine gute Warenauswahl oder erstklassiges Verkaufspersonal. Der stationäre Handel funktioniert zwar immer noch dort am besten, wo er sich auf seine etablierten Tugenden besinnt: ansprechende Produktinszenierung, kompetente Beratung und personalisierte Kommunikation. Das ist aber nur die Pflicht. Die Kür bildet eine zeitgenössische, innovative Store-Gestaltung. Neuartige Shop-Konzepte sorgen dafür, dass der Einkauf zu genau dem Erlebnis wird, das wir uns alle erwarten – was wiederum die Markenbindung ankurbelt.
Wie fast jede Branche erlebt aktuell auch der Ladenbau einen Wandel: Konnektivität, Gesundheit, Sicherheit und Neo-Ökologie heißen die vier Megatrends unserer Zeit, die sich im Store-Design widerspiegeln. Die Palette reicht von minimalistischen Designs und natürlichen Baumaterialien, die hygienisch wirken, über die Integration von Pflanzen und Bäumen bis hin zu glatten Oberflächen, die leicht zu reinigen sind. Diese Trends werden in den Leuchtturmprojekten des österreichischen Handels sichtbar.
So haben Nachhaltigkeit und „green wave“ etwa beim Bau des neuen Ikea-hus am Wiener Westbahnhof eine große Rolle gespielt. Das City-Möbelhaus setzt mit seinen sieben begrünten Stockwerken auf ein urbanes Mobilitätskonzept, das ganz auf den öffentlichen Nahverkehr ausgerichtet ist. Kleinere Artikel, die leicht transportierbar sind, können vor Ort gekauft werden. Alle größeren Produkte werden mittels Lieferung per Elektrofahrzeug oder via Click & Collect zum Abholen bestellt.
„Es gehört zu unserer Philosophie, dass wir das, was wir tun, ständig radikal hinterfragen und erneuern“, leitete Christoph Bründl die Eröffnung des Bründl Sports Flagship-Stores in Kaprun ein. Entsprechend innovativ mutet der revitalisierte Shoppingtempel in den Salzburger Alpen an. Zu den Highlights zählen eine gläserne Skiservice-Werkstatt, ein eigenes Skischuh-Fitting-Labor, eine 15 Meter lange Laufbahn für Laufanalysen sowie eine Boulderwand für Kinder.
Neben dem Faktor Nachhaltigkeit wird auch die Digitalisierung immer essenzieller im zeitgemäßen Ladenbau – erkennbar am vermehrten Aufkommen von interaktiven Bereichen, smarten Arealen und Augmented-Reality-Zonen wie beispielsweise im brandneuen Huawei Flagship-Store in Wien. Auf fünf Etagen erstrecken sich Areale für Beratung, Verkauf, Experience, Education und Service und bieten Platz für das Testen neuester Produkt-Highlights, darunter eine hypermoderne Smart-Home-Erlebniswelt.
Doch auch Geschäfte, die keine Tech-Produkte anbieten, setzen dem Zeitgeist entsprechend auf interaktives Design. So das im Vorjahr eröffnete Nespresso Atelier Wien, das als weltweites
Pilotprojekt der Kaffeemarke gilt. Im Shop führen geschulte Kaffee-Experten die Besucher durch die einzelnen Schritte der Kaffeezubereitung – auf dem ganzen Weg von der grünen Bohne bis in die Tasse. Eine olfaktorische Beratung soll Kunden helfen herauszufinden, welche Aromen ihnen am meisten schmecken. Gerade Kaffee ist ein gutes Beispiel dafür, warum der stationäre Handel so wichtig ist: Wir Konsumenten wollen das Produkt sehen, riechen, schmecken und anfassen können – und das schafft
nur eine physische Filiale.
Natürlich können und wollen wir den Fortschritt nicht aufhalten. Alles, was digitalisiert werden kann, wird bekanntlich auch digitalisiert. Ich bin aber überzeugt davon, dass die Zukunft im Omnichannel-
Handel liegt, der das Beste aus beiden Welten verbindet: online und offline. Sichtbarkeit ist heute entscheidend. Kennen Sie den HALO-Effekt im Handel? Wenn Sie als Händler Ihre stationären Geschäfte schließen, sinken mittelfristig auch Ihre Online-Umsätze, weil der Konsument Ihre Marke vergisst. Daher wird es den stationären Handel auch in 20 Jahren noch geben. Er wird nur viel stärker auf die Bedürfnisse der Kunden zugeschnitten sein – „Customer Centricity“ lautet die von Jeff Bezos geprägte
Devise. Die Geschäfte werden zu digitalen Schmuckstücken ausgebaut. Der Ladenbau integriert digitale Elemente wie Smart Mirror, digitale Preisschilder, Endless Aisle, AR- und VR-Elemente sowie Social-Media- und Live-Shopping-Installationen.
Österreich gilt im Bereich der innovativen Store-Gestaltung zurecht als europäischer Vorreiter. Viele heimische wie internationale Handelskonzerne nutzen die Alpenrepublik als Testmarkt für neue Shop-Konzepte, bevor diese global ausgerollt werden. Die Liste an österreichischen Leuchtturmprojekten ließe sich seitenlang fortführen, stellvertretend für so viele seien noch das Modehaus Feucht und Sportler in Innsbruck, das Kastner & Öhler-Modehaus in Innsbruck sowie der grandiose Interspar-Hypermarkt in der ehemaligen Zentrale des Wiener Bankvereins am Schottentor genannt. Und natürlich das KaDeWe Wien – ein 400 Millionen Euro teures Kaufhaus mit öffentlich zugänglichem Dachgarten, welches die Signa Holding Ende 2024 auf der Mariahilfer Straße eröffnen wird. All diese Projekte demonstrieren Innovationsgeist, Mut und Zukunftsträchtigkeit, sie bieten uns
Shopping mit Wow-Effekt. Made in Austria.
Erschienen im STORE BOOK 2022. Hier bestellen.
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