Stefan Deelmann, Geschäftsführer bei MOprojects
"Stefan Deelmann, wie sieht es aktuell aus nach dem Brexit? Bestehen Hürden im Handel und im Projektmanagement?“
Der Brexit wurde vor zwei Jahren offiziell umgesetzt. Man sollte meinen, in der Zwischenzeit habe sich alles eingespielt. Und doch begleitet uns das Thema noch immer tagtäglich. Seit vielen Jahren fertigen wir regelmäßig Möbel für den Ladenbau über die EU-GB-Grenze hinweg und haben seit 2009 auch eine Zweigstelle in England. Das grenzübergreifende Projektmanagement lief über Jahre reibungslos und routiniert. Die Einführung des Brexits schmiss viele dieser gewohnten Abläufe komplett um. Nach der ohnehin schwierigen Anfangsphase, damals noch begleitet von starken Corona-Beschränkungen, ist auch nach einer gewissen Eingewöhnungszeit der Ablauf nicht viel entspannter geworden. Die Bürokratie in Bezug auf die Verzollung und Zollabfertigung ist sehr hoch und verkompliziert die Projektplanung immens. Ohne unsere Zweigstelle in der Nähe von London und die Kollegen vor Ort wäre dieser Sonderaufwand für uns nicht zu stemmen.
Mehr Arbeitsaufwand, weniger Arbeitskraft
Aber auch für viele Retailer ist Brexit immer noch ein Riesenthema. Brexit-Zölle, Mehrwertsteuerzahlungen, ein hoher administrativer Aufwand beim Im- und Export von Waren in die oder aus der EU sorgen für steigende Preise beim Endkunden und einen organisatorisch hohen Mehraufwand beim Händler. Die britische Kette Marcs & Spencer schloss beispielsweise im Jahr 2021 elf ihrer Franchise-Geschäfte in Frankreich, weil langwierige und komplexe Exportprozesse die Lieferung von frischen und gekühlten Produkten aus Großbritannien nach Europa erheblich einschränkten.
Hinzu kommt, dass durch die verschärften Visabestimmungen für EU-Bürger Arbeitskräfte sowohl im Einzelhandel als auch im Logistiksektor fehlen. Somit steht bei mehr Arbeitsaufwand sogar noch weniger Arbeitskraft zur Verfügung als zuvor.
Investitionen in den englischen Markt sind rückläufig
Infolge der gängigen globalen Lieferketten wurden teilweise Waren von England nach Europa verschickt, dort verarbeitet und anschließend zurück nach England geschickt. Aufgrund des Brexits entstehen in solchen Fällen jeweils doppelte Verzollungskosten, wodurch extern bearbeitete Produkte erheblich teurer werden. Gleichzeitig verfügen britische Unternehmen nicht über ausreichende Kapazitäten, um diese Produkte vollständig im eigenen Land herzustellen.
Viele Brands, die außerhalb von Großbritannien produzieren, planen daher keine weiteren Investitionen in England oder fahren ihre Aktivitäten auf dem englischen Markt sogar zurück. Für viele Marken wäre es sogar günstiger, ihre gesamte Geschäftstätigkeit in die EU zu verlegen, um Themen wie Logistik, Personal und Produktion zu vereinfachen.
Die Kaufkraft ist, besonders in London, noch vorhanden, aber viele Marken sind noch immer unsicher mit Investitionen. Dazu kommen neben dem Brexit die noch immer ungeklärte Frage des Nordirland-Protokolls, die Auswirkungen von Corona und der Krieg in der Ukraine.
Somit scheint es, dass die Folgen des Brexits im Retail noch immer und auch künftig zu erheblichen Problemen in unterschiedlichen Bereichen führen.
Erschienen im Insider 74. Hier ansehen und herunterladen.
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