Storytelling im Raum: Die Kunst Geschichten zu erzählen, die unbewusst berühren

Frank Bittel, Geschäftsführer und Inhaber der ppm GmbH

In unserem Unternehmen beschäftigen wir uns mit Räumen für die Welt von morgen. Betritt ein Mensch einen Raum, interagiert er mit diesem und erspürt vieles sehr unterbewusst und intuitiv. Diese Potenziale werden heutzutage noch viel zu wenig berücksichtigt. Wenn man sich aber damit beschäftigt, erkennt man schnell, warum manche Räume funktionieren, andere hingegen nicht. Kein anderes Medium interagiert so stark mit uns wie der Raum. In unserer Arbeit als Gestalter geht es darum, die Wechselwirkungen zwischen Ort und Individuum bewusst zu beeinflussen und für unsere Markenbotschaften zu nutzen. Storytelling ist dazu ein viel genutztes Prinzip.

Doch wie funktioniert diese Technik und wie kommt man an die Quelle des Unbewussten? Wie entschlüsselt man das Wirkprinzip unserer archaischen Verhaltensweisen? Aus meiner Sicht liegt der Schlüssel im Zuhören und genauen Hinsehen bei der Analyse einer Marke: Geschichten kommt von „Schichten“. Ich muss wie bei einer Zwiebel Schicht für Schicht freilegen, um an den Markenkern eines Unternehmens heranzukommen. Dabei sind drei Punkte wichtig. Das Was (was tut die Marke?), das Wie (wie geht die Organisation vor, wie erreicht sie ihr Ziel?) und das Warum (was ist der Antrieb, wo kommt die Marke her?).

Das Warum herauszuarbeiten ist dabei die Königsdisziplin, denn sie beleuchtet den Sinn eines Unternehmens. Den sogenannten Purpose. Was will die Marke mit dem Vertrieb ihrer Produkte oder Dienstleistungen erreichen? Welche Werte stecken dahinter? Was war die Gründungsidee, was ist die Vision? Der Purpose ist der Kompass einer Marke. Ist er identifiziert, kann man fokussiert handeln, authentisch kommunizieren und der Ziel-Horizont einer Marke ist klar. Um den Purpose im Raum erlebbar zu machen, werden Archetypen und Metaphern genutzt, die schon Jahrtausende in unserer Kultur und in unserem eigenen Erfahrungsschatz verankert sind. Die Forschung dazu geht auf den Schweizer C. G. Jung (1875-1961) zurück, der zwölf Archetypen herausgefiltert hat. Es gilt, den Archetypen1 einer Marke herauszuarbeiten und eine korrespondierende Symbolik aus den Urbildern
abzuleiten.

Weiterhin bedarf es bildhafter Metaphern, um ihre Kraft zu entfalten. Das „Stage Design“ und die Auswahl der eingesetzten Materialien schaffen eine sinnliche Atmosphäre, die mit den erzählten Geschichten interagiert, die wir z.T. aus der Neuzeit (Bücher, Filme, Sagen, Märchen etc.) herleiten können. Egal ob im Film, im Buch oder im Raum, alles mündet in einer „Heldenreise“, in der wir unseren Helden (z.B. die Marke) dabei begleiten, wie er Aufgaben löst, Schwierigkeiten überwindet und Objekte findet, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Er sammelt dabei Erfahrungen, erntet Ruhm und die Produkte helfen ihm bei seiner Mission. Ein Held meiner Kindheit war der Feuersalamander Lurchi, eine Comicfigur der Schuhmarke Salamander, der dieses Prinzip sehr gut veranschaulicht. Wenn Kunden einen Ort betreten, an dem sie sich wohlfühlen und der ihnen eine sinnliche, unterbewusste Erfahrung ermöglicht, mit der die rational, bewusst erlebbaren Sinneseindrücke übereinstimmen, speichern sie diese Erlebnisse und den damit verbundenen Ort positiv ab.

Ein schönes Beispiel dafür ist das Lagerfeuer. Schon vor Jahrtausenden haben die Menschen sich um Feuerstellen versammelt und Geschichten erzählt. Das Feuer steht für Wärme und Energie, aber auch Gefahr. Der Kreis für Einheit, Verbindung, Vertrauen. Der Abschluss eines erfolgreichen Tages im Kreis der Vertrauten. Dieses Bild haben wir z.B. im neuen Jack Wolfskin Store in Frankfurt am Main genutzt und ein digitales Lagerfeuer im Store integriert. Die Marke ermöglicht es Menschen, sich mit Kleidung und Ausrüstung draußen wohlzufühlen. Wer gut gerüstet in der Natur unterwegs ist und dort Abenteuer erlebt, kann spannende Geschichten erzählen. Diese Rolle nehmen heute weitestgehend Social Media. Aber warum nicht die Momente über ein abstrahiertes digitales Lagerfeuer teilen?

Die Marke nutzt hier ein uraltes gelerntes Motiv – das Lagerfeuer –, um positive Erinnerungen im Store aufzurufen und verankert sie mit dieser kraftvollen Bildsprache viel stärker in unserem Gedächtnis. Wenn diese Markenbotschaft und die Geschichten dann noch in den Produkten und dem Raum erlebbar werden, ist es ein rundes und ganzheitliches Konzept. Ein anderes gutes Beispiel kommt aus der Gastronomie. Wir haben für das Weingut Mertes in Bernkastel-Kues ein Restaurant- Konzept mit angegliedertem Wein-Shop entwickelt. Zum Unternehmen gehört die Sekt-Marke Deinhard. Mit einer Heritage-Wand knüpfen wir an einen Werbespot der Marke aus den 90er Jahren an, in dem eine junge Partygängerin durch lautes Trommeln alle Blicke auf sich zieht und ruft: „Wo ist der Deinhard?!“
Am Übergang vom Restaurant zum Shop wird das Schlagzeug im Kontext mit alter Werbung inszeniert und bildet heute die Brücke zwischen der Firmenhistorie und dem modernen Markenauftritt. Ein gelungener Selfie-Spot, der die Marke zudem mit der digitalen Welt verbindet.

1 Archetypen. Urbilder und Wirkkräfte des Kollektiven Unbewussten.
Edition C. G. Jung

Erschienen im STORE BOOK 2024. Hier bestellen.