KI im Handel: Mehr als nur ein Hype

Dr. Johannes C. Bauer, Head of Research, Vorstandsmitglied am Gottlieb Duttweiler Institut

Dr. Gianluca Scheidegger, Senior Researcher am Gottlieb Duttweiler Institut

Künstliche Intelligenz hat auch den Handel erreicht, und Handelsmanager*innen sehen darin großes Potenzial – etwa, um die passende Ware zum besten Preis am richtigen Ort bereitzustellen. Ein Schlüsselfaktor für den erfolgreichen Aufbau von KI-Kompetenzen im Unternehmen ist die frühzeitige Einbindung der Mitarbeitenden. Auch die Kund*innen müssen in den Implementierungsprozess eingebunden werden – doch ein klarer Fokus auf ihren Mehrwert fehlt bislang.

Künstliche Intelligenz durchdringt mittlerweile viele Bereiche unseres Lebens, und Modelle wie ChatGPT zeigen ihr Potenzial auf greifbare Weise. Doch es bleibt die Frage: Handelt es sich um eine nachhaltige Technologie oder lediglich einen Hype?

Vieles spricht dafür, dass KI eine Technologie mit Zukunft ist. Sie wird, ähnlich wie die DNA- Sequenzierung oder das GPS, seit Jahrzenten erforscht. Ein klares Zeichen ihrer Innovationskraft ist der Anstieg von KI-Patenten, die zwischen 2021 und 2022 allein um 63 Prozent zunahmen. Auch die Investitionen in KI-Unternehmen sind rasant gewachsen – von fast null im Jahr 2013 auf über 1,3 Billionen US-Dollar heute. Sam Altman, CEO von OpenAI, geht sogar davon aus, dass KI das globale BIP verdoppeln und einen Wert von mehr als 100 Billionen US-Dollar schaffen könnte.

Exaktere Prognosen
Neben den globalen Entwicklungen wird das Potenzial von KI auch im Handel immer deutlicher. Unsere 2024 durchgeführte Umfrage1 zeigt, dass die Mehrheit der Handelsmanager*innen KI als Schlüsseltechnologie betrachtet. 60 Prozent der Befragten sehen in KI großes Potenzial für den Handel. Insbesondere im Bestandsmanagement, bei Suchfunktionen und bei der Erstellung von Produktbeschreibungen spielt KI bereits eine zentrale Rolle. Zukünftig planen Manager*innen vor allem in Predictive AI zu investieren, um die optimale Platzierung und Preisgestaltung ihrer Waren besser vorhersagen zu können.

Dezidierte Strategie fehlt
Trotz des großen Potenzials zeigt der Status Quo im Handel ein gemischtes Bild: Nur fünf Prozent der Unternehmen verfügen über eine dezidierte KI-Strategie, 30 Prozent befinden sich noch in der Orientierungsphase, und 23 Prozent planen bis 2030 keine KI-Aktivitäten. Viele Unternehmen evaluieren Anwendungsfälle, zögern jedoch bei der Umsetzung. Danach gefragt, welches Adjektiv die derzeitige Situation im Unternehmen am besten beschreibt, war die häufigste Antwort „experimentell“.

KI-Kompetenzen fördern
Mehr als die Hälfte der Handelsmanager*innen sieht Pilotprojekte als beste Methode, um Mitarbeitende an neue KI-Tools heranzuführen. Ebenfalls wichtig sind Weiterbildungsprogramme, die neue Fähigkeiten vermitteln oder bestehende Kompetenzen vertiefen. Auch Beratungsfirmen und Forschende betonen, dass Investitionen in Re- und Upskilling – auch für nicht-technische Berufe – unerlässlich sind. Der langfristige Erfolg hängt entscheidend vom nachhaltigen Aufbau von KI-Kompetenzen ab, die sich mit den menschlichen Stärken des Personals kombinieren lassen sollten.

Kundenorientiertheit fehlt derzeit
Viele Manager*innen sind sich einig: Eine erfolgreiche Einführung und Weiterentwicklung von KI im Unternehmen beginnt mit einer klaren, kundenzentrierten Strategie. Doch unsere Befragung zeigt, dass der Fokus auf den Kundennutzen meist fehlt: Den Angaben der Manager*innen zufolge werden hauptsächlich die Unternehmen profitieren. Nur zehn Prozent der Befragten geben an, dass KI vor allem die Kund*innen besserstellt. Konkret sehen die Manager*innen eine Verbesserung der Arbeitseffizienz zu niedrigeren Löhnen voraus bei gleichzeitig sinkendem Kundenerlebnis, schlechterer Beratungsqualität und steigenden Preisen – keine besonders kundenfreundliche Aussicht. Eine Gegenüberstellung der geplanten Unternehmensinvestitionen mit den Bereichen, in denen Kund*innen den größten Nutzen sehen, verdeutlicht diesen Missstand. Tatsächlich ist der Zusammenhang negativ: Investitionen konzentrieren sich vor allem auf Bereiche, die für die Kund*innen weniger relevant sind.

Die Zukunft des Handels ist klar: Künstliche Intelligenz wird eine Schlüsselrolle spielen – sofern Unternehmen ihr Potenzial erkennen und kundenzentriert umsetzen. Derzeit jedoch scheinen viele Unternehmen diesen Weg noch nicht eingeschlagen zu haben.

1Diesem Beitrag zugrunde liegt die Studie „Smart und menschlich: Wie KI den Handel revolutioniert“ des Gottlieb Duttweiler Instituts. Befragt wurden im Jahr 2024 287 Handelsmanager*innen sowie über 3.031 Konsument*innen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Hier zum kostenlosen Download: gdi.ch

Erschienen im STORE BOOK 2025. Hier bestellen.