Lasst die Ware sprechen!

Stephan Rüschen, Professor für Lebensmittelhandel und Studiengangsleiter Handel an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW)

Wohin entwickelt sich der Lebensmittelhandel bei den stationären Geschäften?

Die Discounter und die Supermärkte beherrschen den Markt. Bei den Discountern sieht man über die Jahre zwar ein Trading-up. Erinnern Sie sich noch an die Backabteilungen von früher? Da haben die Discounter gewaltig aufgerüstet. Aber so wie ein Golf immer ein Golf geblieben ist, hat sich auch der Discounter in seiner DNA nicht verändert. Dem Grundkonzept ist er treu geblieben: Es geht um Selbstbedienung, der Einkauf ist einfach und geht schnell. Weder Aufenthaltsqualität noch Inspiration
spielen eine Rolle, es geht nur um die Ware.

Die Verbrauchermärkte haben sich ebenfalls verändert, gerade weil die Discounter ihr Sortiment ausgeweitet haben und auch höherwertige Ware verkaufen. Diese Läden werden immer schöner und aufwändiger. Kaffee wird im Laden geröstet, Gastronomie integriert, Sushi frisch zubereitet, Convenience-Produkte im Markt hergestellt. Ob der Kunde das alles will, sei dahingestellt. Die Bereitschaft zu investieren, damit der Kunde die Ware hochwertig erlebt, ist hoch. Trotz Kostendruck wird Nonfood von den größeren Flächen verdrängt, um noch mehr Lebensmittel präsentieren zu können. Das benötigt häufig hohe Investitionen und ist auch im Betrieb kostenintensiv. Im Lebensmitteleinzelhandel dominierte seit eh und je der Versorgungseinkauf – ich gehe rein, kaufe ein Produkt, das ich brauche, und gehe wieder. Das hat sich im Laufe der letzten Jahre geändert. Die Inszenierung der Waren soll den Kunden ein Erlebnis verschaffen. Aber Vorsicht: Trading-up ist nicht Dekoration, es muss vielmehr die Atmosphäre passen. Entscheidend ist immer noch der Anteil an Eigenproduktion und die Sortimentstiefe für ein Einkaufserlebnis im Supermarkt.

Sie sagen, die Nonfood-Abteilungen im LEH werden weniger. Warum?

Dass der Lebensmitteleinzelhandel Nonfood-Artikel verkauft, wird einfach nicht mehr erwartet. Dafür gibt es bessere Alternativen, entweder im E-Commerce oder bei den Nonfood-Discountern. In den LEH-Supermärkten werden noch Batterien oder kleine Haushaltsbedarfe wie Kochtöpfe oder Backzubehör verkauft. Die Nonfood-Anteile sind mittlerweile unter zehn Prozent gesunken. Die große Fläche im Markt wie früher ist dann nicht mehr rentabel. Die Flächen werden teilweise untervermietet.

Dagegen nimmt die Produktion im Markt zu. Was muss der Händler können, um diese Bereiche erfolgreich zu betreiben?

Das ist eine schwierige Frage. Es sind ganz oft Selbständige, die mit Leidenschaft ihre Märkte weiterentwickeln. Das sind Unternehmer, die an sich und an ihr Konzept glauben. Sie nehmen keine Konzepte vom Reißbrett und trauen sich was. Sie wollen für ihre Kunden attraktiv sein. Das meiste an Eigenproduktion wird in eigener Kompetenz selbst organisiert oder man beschäftigt Menschen, die das können. Fremd vergeben wird wenig und nur, wenn es profitabel ist. Das gilt zum Beispiel für die Herstellung von Sushi, dies vermutlich deshalb, weil das gut durchorganisiert ist. Die Verantwortung übernimmt in der Regel der Kaufmann immer selbst. Ein Beispiel für diesen Unternehmergeist, der viel wagt und probiert, ist Zurheide in Düsseldorf. Er ist sehr früh gestartet mit einer eigenen Rösterei, einem Bistro, Pasta-Herstellung und Sushi im Laden. Der Erfolgt gibt ihm recht.

Sie sind viel unterwegs. Wie ist Ihr Eindruck vom internationalen Lebensmittelhandel?

Es gibt viele schöne Konzepte weltweit, die aber nicht multipliziert werden (können). Ich habe in Marrakech einen Carrefour gesehen, der wirklich rundum toll ist. Die Zielgruppe dort kauft hochpreisig und schätzt sicher das Einkaufserlebnis. Das ist schön anzusehen, aber davon lernen können wir nicht viel. Für mich sind immer wieder die Niederlande faszinierend. Dort wird die Ware im Markt, der in der Regel ohne Bedienabteilung auskommt, sehr hochwertig präsentiert. Der Convenience-Grad dort ist sehr hoch. Die Deutschen dagegen wollen von den Bedientheken nicht loslassen. Vielleicht ist der Blick über die Grenze eine gute Inspiration für die deutschen Supermarktbetreiber. Frankreich wiederum hat einen anderen Zugang zu Lebensmitteln. Dort spricht die Ware und nur die. Es gibt fantastische Fischabteilungen, die einem das Gefühl geben, man sei direkt am Hafen oder auf einem Kutter. Bei uns in Deutschland wird, um dieses Meer-Gefühl in der Fischabteilung zu bekommen, einfach mehr dekoriert. Die Franzosen konzentrieren sich auf die Ware und das machen sie hervorragend.

Sie sind in Deutschland der Experte schlechthin für 24/7-Stores. Wie ist der Stand aktuell?

Diese Art Stores erleben weiterhin einen Boom. Es ist nicht erkennbar, dass sich eine Technologie verabschiedet. Selbst Grab'n Go läuft weiter, momentan gibt es 19 Märkte mit dieser Technologie. Alle zwei Tage wird ein 24/7-Store eröffnet. Es gibt viele Starter, die etwas ausprobieren wollen. Es werden nicht alle überleben, dennoch geht es voran. Bislang sind keine relevanten Rückschläge zu verzeichnen. Das Problem, dass Läden sonntags nicht öffnen dürfen oder eine Öffnung nur geduldet wird, besteht in manchen Bundesländern weiterhin. Das gehört rechtlich geregelt.

Wo kaufen Sie am liebsten Lebensmittel ein?

Das kommt auf das Land an. Mir fällt Italien ein, wo ich am liebsten zu Eataly gehe. Davon bin ich großer Fan.

Erschienen im STORE BOOK 2025. Hier bestellen.