Florian Treiß, Herausgeber des Location Insiders, ein Fachdienst zur Digitalisierung des stationären Handels
Herr Treiß, was sind die häufigsten Fehler bei der Digitalisierung im Handel?
Zu denken, dass die Digitalisierung das „Ein und Alles“ für den Handel ist und dabei die eigenen Stärken aus dem Auge zu verlieren. Ein Beispiel: Neulich entdeckte ich bei einem Modehändler in Leipzig im Schaufenster ein Outfit, das ich unbedingt haben wollte. Doch in der Herrenabteilung angekommen, wusste die Verkäuferin erst nicht, was überhaupt im Schaufenster zu sehen ist, und musste nachgucken. Dann stellte sich heraus, dass ein Teil des Outfits nur noch im Lager war und gar nicht mehr auf der Fläche auslag. Da bietet ein Händler Inspiration und sorgt für Frequenz über den analogen Impuls des Schaufensters, kann die Nachfrage dann aber eher schlecht als recht bedienen. Andere Kunden haben womöglich den Laden gleich ohne zu fragen wieder verlassen. Umgekehrt rollt derselbe Laden gerade eine komplexe RFID-Infrastruktur aus, für die die Mitarbeiterinnen offenbar gerade geschult worden waren. Das sorgt beim Kunden für den Eindruck, dass vor lauter Digitalisierung die analogen Hausaufgaben nicht erledigt werden.
Was kann das Ladengeschäft besser als der Onlineshop? Oder ist es ein Auslaufmodell?
Stationäre Läden sind definitiv kein Auslaufmodell: Das sieht man daran, dass einstige „Online Pure Player“ mittlerweile in die Fläche gehen. Das hilft ihnen, die Kunden noch besser zu verstehen und der Marke ein Gesicht zu geben. Und was das Ladengeschäft besser kann – oder zumindest besser können sollte, wenn nicht bloß Aushilfen vor Ort sind – ist definitiv die Beratung. Und dem Kunden ein Lächeln zu schenken. Und nicht zuletzt auch der Faktor „Instant Gratification“: Ich kann das Produkt sofort mit nach Hause nehmen, wenn es mir gefällt. Und muss nicht tagelang aufs Paket warten oder zumindest ein paar Stunden bei Same Day Delivery.
Derzeit wird in Sachen Digitalisierung viel probiert. Sie haben einen guten Einblick in die Branchen und die Unternehmen. Gibt es einen roten Faden oder wird einfach drauflos getestet?
Testen ist ein gutes Stichwort: Viele Händler haben viel zu lange in einer Schockstarre verharrt, hielten das Internet viel zu lange für Neuland, das irgendwann vielleicht wieder abgeschaltet wird. Und wenn sie die Digitalisierung dann doch ernst genommen haben, wurden viel zu oft Multimillionen-Euro-Projekte aufgesetzt, die jahrelang bis zum Rollout brauchen. Heute aber sollten Händler experimentierfreudig und agil sein: in kleinen Teams schnell Testballons aufsteigen lassen und ggf. auch das Scheitern des Tests eingestehen.
Einen roten Faden zur Digitalisierung, passend für alle Händler, gibt es nicht, aber es sollte sich niemand zurücklehnen und sagen: „Produkt XY kauft doch niemand übers Internet.“ Jedes Jahr werden es mehr Kategorien, die einen signifikanten Onlineanteil haben. Hilfreich kann sein, Querdenker von außen ins Unternehmen zu holen, die bewusst mit der Tradition des Unternehmens brechen und die Dinge neu denken, um die Belegschaft wachzurütteln. Aber das ist natürlich ein schmaler Grat und sollte die eigenen Leute auch nicht verschrecken.
Welche Händler können Sie im Retail nennen, die die Digitalisierung richtig gut hinbekommen? Und was machen die richtig?
Richtig gut gefällt mir Breuninger, das voll auf den Omnichannel-Handel ausgerichtet ist und die Kanäle geschickt verknüpft. Das ist ein echter Wachstumsfaktor, Breuninger macht mittlerweile 30 Prozent seines 900-Millionen-Umsatzes online und wird zunehmend auch in „Nicht-Breuninger- Städten“ ohne eigenes Kaufhaus vor Ort ein Begriff. Zudem bietet Breuninger schon seit 60 Jahren eine eigene Kundenkarte an, hat relativ still und leise schon vor Jahren eine eigene Mobile-Payment-Lösung ausgerollt und seine Verkäufer mit iPads für die Beratung ausgestattet. Dadurch ist es in den Breuninger-Häusern problemlos möglich, nicht vorrätige Kleidung(-sgrößen) direkt nach Hause geliefert zu bekommen.
Welche digitalen Tools im Laden nutzen Sie? Oder nutzen Sie diese Angebote gar nicht?
Direkt im Laden ist es bei mir v.a. Payback, das in seiner App eine Kombination aus Loyalty, Coupons und Mobile Payment bietet. In nur einem Vorgang kann ich dadurch an der Kasse mit dem Handy bezahlen, Coupons einlösen und Punkte sammeln. Was mir auch Spaß macht, sind die Augmented-Reality-Geräte in den Lego Stores, mit denen man einen Blick in die Packungen werfen kann. Aber digitale Tools sind für mich längst nicht nur direkt im Store wichtig, sondern auch für
die Kaufvorbereitung, Stichwort „Research Online, Purchase Offline“: also im Netz schauen, welche Produkte es gibt und wo ich sie kaufen kann. Im Idealfall dann auch mit einer Verfügbarkeitsanzeige und Reservierungsfunktion, gepaart mit Navigation zum Store.
Erschienen im dLv-Trendreport 2020 - 2023. Hier bestellen.
Mehr erfahren über den Autor.