Reinhard Vedder, selbständiger freier Lichtarchitekt für den Bereich Retail
Der stationäre Handel hat alle Trümpfe in der Hand. Bei gutem Licht betrachtet, bietet der Shop in all seinen großen und kleinen Erscheinungsformen ein Einkaufserlebnis mit einer Körperlichkeit, die alle Sinne umfasst.
Nur so ist es zu erklären, dass Menschen aller Altersstufen das Shoppen für sich als Freizeiterlebnis entdeckt haben. Wie schal ist da der Klick vor dem Bildschirm, mit dem eine aufwendige und problematische Logistik für die „Next Day"-Lieferung in Gang gesetzt wird.
Soweit die gute Nachricht. Aber verpasst der stationäre Einzelhandel nicht seine großen Chancen? Auch wenn inzwischen bei den Händlern das Bewusstsein für die wirtschaftlichen Vorteile einer LED-Beleuchtung vorhanden ist, so vernachlässigen viele die qualitativen Aspekte des Lichts. Dabei ist es gerade dieses dem Ladenbau ebenbürtige Werkzeug, das über Top oder Flop entscheidet, mit dem sich der Handel gegen Onlineanbieter behaupten kann. Statt über Umsatzeinbußen zu klagen, können Einzelhändler und Filialisten das unmittelbare physische Kauferlebnis aktiv weiterentwickeln. Denn damit haben sie dem Onlinemarkt gegenüber ein unumstößliches Alleinstellungsmerkmal.
Viel Licht mit weniger Strom klingt wie viel einkaufen, um zu sparen
Bei Neubaumaßnahmen wird nicht mehr gefragt, die Läden werden mit LED-Licht beleuchtet. Auch bei Umbauten wird inzwischen selbstverständlich auf LED umgerüstet. Doch häufig steht dabei allein der Aspekt der Energieeinsparung im Fokus. Angelernte und selbsternannte Energieberater überschwemmen den Markt mit vermeintlich günstigen Leuchten, die viel versprechen, aber wenig halten. Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass eine hellere Leuchte die bessere Lichtwirkung erzeugt. Erst durch die gezielte dramaturgische Wirkung von Licht und Schatten werden Instinkte und Erwar- tungen geweckt. Leider blockieren veraltete Vorstellungen die Möglichkeiten der modernen Licht- technik. Vielfältige Optionen und Steuerungsmöglichkeiten werden nicht berücksichtigt, weil solch ein Potenzial bei den konventionellen Lampen einfach nicht vorhanden war.
Veraltete Normen und Unwissenheit behindern zuerst den Händler und dann den Kunden!
Jeder Laden lebt von seiner Präsentation. Je schöner und verführerischer sich die Waren zeigen, desto eher trifft der Kunde seine positive Kaufentscheidung. Das klingt selbstverständlich, und doch ist es für den Lichtdesigner erschreckend, wie wenig Architekten und Elektroplaner über die dazu nötigen physikalischen Werte wissen. Oft begnügt man sich mit einem als „gut“ eingestuften Farbwiedergabewert CRI >80. Die Profis des Visual Merchandising setzen dagegen LED-Platinen mit einer Farbwiedergabe CRI >95 ein, welche die Waren wie in natürlichem Sonnenlicht erscheinen lassen. Je höher der Farbwiedergabewert, desto schöner und wertvoller wirkt das Produkt.
Das gilt auch vor dem Spiegel in der Umkleidekabine, wo die Kombination aus unzureichender Farbwiedergabe und vielleicht zu kühlem Licht Bleichgesichter erzeugt, in denen jedes noch so kleine Fältchen an den Tag tritt. So mag niemand aussehen; schon gar nicht in neuer Garderobe. Wen wundert es, wenn dann die Lust auf einen Kauf verschwindet?
Passendes Licht für die positive Kaufentscheidung
Warmes Licht lässt Menschen schöner und Dinge hochwertiger erscheinen. Wo der Atmosphäre Bedeutung beigemessen wird, sind die Läden mit 3.000 Kelvin beleuchtet. Das entspricht in etwa einem guten Halogenlicht. Für sehr hochwertige Wareninszenierungen kann auch mit 2.700 Kelvin beleuchtet werden. Nicht ohne Grund machen hier Lichtdesigner und Architekten zunehmend Anleihen bei der Hospitality-Beleuchtung. Je wärmer das Licht, desto emotionaler die Atmosphäre.
Wie findet man das „beste“ Licht?
Bei dem großen Angebot an LED-Leuchten hat der Händler natürlich die Qual der Wahl. Musste er sich bei den alten Entladungslampen zwischen gerade mal zwei Anbietern entscheiden, gibt es heute eine verwirrende Anzahl verschiedener LED-Chips von unterschiedlichen Herstellern. Wie kann er deren Qualität beurteilen, wenn die physikalischen Daten wenig zur Klärung beitragen?
Die Entscheidungsfindung für die optimal zum Unternehmen passende LED-Platine funktioniert am besten mit einer umfassenden, vergleichenden Bemusterung und Betreuung durch den für den Handel geschulten, unabhängigen Lichtdesigner. Der Aufwand lohnt sich, denn erfahrungsgemäß führt der di- rekte Vergleich des visuellen Eindrucks des Lichtspektrums zu großer Entscheidungssicherheit.
Kleiner, besser, schöner: neue Gestaltungsmöglichkeiten und Steuerungen
Das Portfolio der modernen Lichttechnik stellt immer kleinere Bauformen, umfassende Optiken und hochentwickelte Reflektoren und Lichtsteuerungssysteme zur Verfügung. Diese Optionen bieten einen üppigen Spielraum für weitere Energieoptimierungen und kreative Raum- und Warenwirkungen. Allerdings muss jeder Shopbeleuchtung, die zum Absatz des Warenangebots beitragen soll, ein detailliertes Konzept vorausgehen; egal, ob es sich um marktfrisches Gemüse, Sportartikel, Fashion oder Schuhe handelt.
Das Lichtkonzept behandelt dabei nicht vorrangig die räumliche Verteilung von Einbau- oder Anbaustrahlern, sondern die Erschaffung von Lichtszenen und emotionalen Raumwirkungen, in deren Licht Räume und Ware erstrahlen. Danach kann man die dazu passende Gerätetechnik auswählen.
Erschienen im dLv-Trendreport 2020 - 2023. Hier bestellen.
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